Tagebucheintrag: Bad Salzungen
Ich fuhr gegen Mittag los, Richtung Eisenach. Fast vier Jahre, vom Oktober 1984 bis zum
August 1988, war dies meine Stammstrecke auf dem Weg nach Dermbach. Der Zug von Leipzig
verspätet sich in seiner Ankunft in Eisenach um 15 Minuten. Das geruhsame Umsteigen
mit einer geplanten Bahnhofsbesichtigung wurde zum Kurzstreckensprint über die
Baustelle, die der Eisenacher Bahnhof zur Zeit ist. Aber ich erreichte die
Südthüringenbahn und kam pünktlich in Bad Salzungen. Ich sah mich im
Stadtzentrum um. Das Wetter war richtig gut, aber es waren kaum Leute unterwegs. Ein paar
saßen in Straßencafes. Aber das war es fast schon, keine gute Gelegenheit
für eine Straßenmugge. Ich rief Peter an, wann er da sein könnte, und
siehe, er hatte früher Feierabend und war schon auf dem Weg nach Salzungen. Ich
nutzte die Gelegheit, um meine Reisekostenbelege, die ich mit ins Gepäck gestopft
hatte, an meine Firma zu schicken. Dann rief ich Karo, Cathis Freundin, und Kerstin,
Cathis Mutter an. Sie beruhigten mich. Der Skandal ist bereits das eine Jahr, in dem der
Typ noch nicht hinter schwedischen Gardinen sitzt. Aber ansonsten wird er seine
Strafe in voller Höhe abzusitzen haben. Ich wurde wieder ruhiger. Gegen Ende des
Telefonats kam Peter, mein alter Kompaniechef aus der Dermbacher Zeit, auf dem
Parkplatz, auf dem ich wartete, an. Ich war sein Stellvertreter für politische
Arbeit und werde sowohl von ihm als auch von seiner Frau noch heute immer mal wieder mit
"Polit" angesprochen (Das geht von mir aus in Ordnung). Wir hatten uns zuletzt bei seinem
50. Geburtstag vor fünf Jahren gesehen.
Pit, wie ihn die Soldaten nannten, hatte schon immer ein großes Talent, Leute zu
überzeugen. Es hatte mich nicht verwundert, dass er nach der Wende zunächst
Vertreter für Versicherungen wurde. Als das nicht mehr so lief, wechselte er das
Produkt. Um es im schönen alten Deutsch zu sagen: Er macht jetzt in Weinen. Wir
zwei Dicken kauften etwas Kuchen und fuhren zu ihm. Es gab Kaffee, ein ganz klarer
Verstoß gegen meine Kamillenteediät, und vor allem ein herzliches Wiedersehen
mit seiner Frau, die aber kurz darauf wieder zur Arbeit musste. Ich bat Peter, für
mich ein paar Kneipen klarzumachen. Er schlug vor, dass wir erstmal zu den Lokalen
fahren und nach dem Abendessen loslegen sollten. Die erste Station war ein Country
Saloon. Der Wirt war einverstanden. Ich begann schnell, ein kleines Countryprogramm
zusammenzustellen. Beim nächsten Wirt erfuhren wir, dass er wohl nichtmal bis 21
Uhr aufhaben würde. Es käme ja doch keiner. Peter schlug noch eine dritte
Gaststätte vor. Sie habe gerade erst eröffnet, da könnten die Chancen
gut stehen. Die Wirtsleute sind einverstanden, sagen aber auch, dass sie nicht wissen,
ob es voll oder leer wird. Wir sagten, wir kämen einfach und entschieden dann.
Nach dem Abendessen ging es runter zum Country Saloon. Ich fand dort das aufmerksamste
Publikum während der ganzen Tour, vom Konzert in Saßnitz mal abgesehen. Ich
spielte vor knapp 20 Leuten (vielleicht waren es sogar wieder 16) etwa eine halbe
Stunde. In einigen Ansagen ließ ich anklingen, worum es mir bei der Tour ging.
In den Gesprächen an den Tischen fand ich sehr viel Aufgeschlossenheit und
Mitgefühl und auch Interesse an der Arbeit des Vereins. Ich sammelte 42 Euro an
Spenden und spielte noch zwei Titel als Zugabe. Falls mir Peter einen Link zu dieser
Kneipe schickt, würde ich diesen hier gern veröffentlichen.
Danach fuhr mich Peter zur "Neueröffnung". Am Tresen saß ein Gast, nehmen
wir mal an, es war einer. Die Wirtsleute und wir tauschten gegenseitig das Bedauern
darüber aus.
Wieder zurück schwelgten wir noch ein wenig in alten Zeiten, bis Peter auf die
Idee kam, mit mir einen Einbürgerungstest zu machen. Beim Quiz und
Kreuzworträtseln war er immer nahezu unschlagbar gewesen. Ich glaube, ich habe den
Test mit Ach-und-Krach bestanden. Zumindest einigten wir uns darauf. Das Gespräch
drehte sich noch ein wenig um unser jetziges Leben, die Sorge um die Gesundheit der
Eltern, den Stolz auf die beiden Töchter. Ich verblieb in dem Gefühl,
dass es da zwei nicht leicht haben, aber auch nicht untergehen werden. Aber eine
Seite lernte ich noch an Peter kennen. Er wurde von einem Untermieter, dem
Zwergkaninchen seiner jüngeren Tochter immer wieder belästigt. Die
Schlussfolgerung war, dieses Kaninchen (ein Männchen, also ein Rammler) sei
aufgrund seiner Einsamkeit sexuell unausgeglichen. Also wurde beschlossen, dem Tier
die Quelle des Übels zu entfernen. Frisch kastriert saß der arme Kerl nun
apathisch herum. Zum Abend hin taute er langsam wieder auf und fing auch wieder an,
Peter zu belästigen. Die Frage also lautet: Was hat Peter an sich, das selbst ein
kastriertes Kaninchen noch scharf macht? Die Antwort muss natürlich lauten: Nichts!
Aber alleene bei där Fraache gönnd'sch mich schon wegschmeiß'n!
Am Morgen frühstückte ich mit Peter, seine Frau war schon wieder auf Arbeit.
Er fuhr mich dann auch noch nach Eisenach (Danke!). Unterwegs lernte ich gleich noch
einiges übers Weingeschäft. Wir verabschiedeten uns am Bahnhof und frohen
Mutes ging es nach Bad Homburg.
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