Abschied

Trauer

Trauer für Mara und Cathi

Am 11. Juni 2005, eine Woche nach dem Unfall trafen sich etwa 2.500 Menschen am Morgen an der Unfallstelle. Um 04:50 Uhr, dem Unfallzeitpunkt, stiegen rote Luftballons auf, die Kirchenglocken von Bergen bis Saßnitz läuteten. Ich sah an jedem zweiten Auto auf der Insel Rügen in diesen Tagen das Flugblatt zum Gedenken an den Unfall. Die Anteilnahme hat mich sehr ergriffen. Am Nachmittag fand eine Trauerfeier für Cathi und Mara in der Kirche von Saßnitz statt. Im Beisein von 250 Menschen sprachen die Pastorin, zwei Freundinnen von Mara und ich. Es wurden Lieblingslieder der beiden gespielt. Ich möchte an dieser Stelle meine Abschiedsworte für Cathi zitieren:


Meine Trauerrede

Liebe Cathi!

Es ist 15 Jahre her. Es ist Sommer 1990. Wir fahren auf einem Dampfer der weißen Flotte über Berliner Gewässer. In der Nähe von Treptow kommt plötzlich eine Durchsage: "Hier auf der Brücke ist ein kleines blondes Mödchen! Die Eltern möchten sich doch bitte mal drum kümmern!" Mein guter Freund Mischka, Dein Vater, sitzt breit lächelnd da: "Das ist Cathi!" Kerstin, Deine Mutter, drückt sich in ihre Ecke und erklärt kategorisch: "Ich geh da nicht hin!" Ein Blick auf ihren Mann belehrt sie, der sitzt wie angenagelt. "Reni, geh du mal!"

Ich komme auf das Oberdeck. Links und rechts auf den Bänken sitzen vorwiegend ältere Ehepaare in der Sonne. In der Mitte, im Gang kommt mir ein quietschvergnügter dreijähriger Dreikäsehoch entgegen. "Onkel Reni!" Ich nehme Dich auf den Arm. Und schon kommen von links und rechts die Belehrungen: "Die dürfen sie hier nicht allein rumlaufen lassen!" "Die müssen sie beaufsichtigen!" "Die hat die ganze Zeit am Geländer herumgeturnt!" "Die wäre beinahe ins Wasser gefallen!" Du grinst über alle vier Backen und ich denke mir: 'Lass sie reden. Ich könnte sie auch belehren. Das Geländer heißt Reling und ein Kind von der Küste fällt nicht so schnell in Berliner Flusswasser.'

Ich hab zu diesem Zeitpunkt schon Erfahrung mit Dir. Wie oft hieß es auf dem Zeltplatz in Prerow: "Ein kleines blondes Mädchen ..." Und wie oft kam sofort das kategorische: "Ich geh da nicht hin!" Deine Mutter hat's immer gewusst. Man sollte sich Dir nicht in den Weg stellen. Aber so sind wir Erwachsenen nun mal. Kaum sucht und geht ein Kind eigene Wege, schon müssen wir es davon abbringen und auf den "richtigen Pfad" führen. Ich habe später mit viel Freude und Stolz erlebt, dass Du es uns Erwachsenen und auch Deinen Freunden immer schwerer damit gemacht hast. Der Dickschädel Deines Vaters und das Mundwerk Deiner Mutter waren gute Erbteile. Sie waren Dir Werkzeuge, fast schon Waffen, mit denen Du dich zur Wehr gesetzt hast, aber auch zur Attacke übergehen konntest. Jeder von uns, der sich Dir einmal in den Weg gestellt hat, oder es zumindest versuchte, weiß, wovon ich rede. Und auch jeder von uns, der nur erlebt hat, wie es ein anderer versuchte, weiß wovon ich hier rede.

Und trotzdem habe ich nicht bemerken können, dass Du Dir dadurch Feinde gemacht hast. Warum? Da waren wohl zunächst Deine Eltern. Bei aller Tragik ihrer eigenen Leben, ihrer eigenen Beziehung, haben sie Dir stets eine zärtliche Liebe entgegengebracht. Du fandest bei Ihnen Gelegenheit, über fast alles zu reden. Und beim gelegentlichen Redefluss Deiner Mutter lerntest Du gleich noch das Zuhören. Was Du Deinen Eltern nicht erzählen konntest, hast Du Deinem Bruder erzählt. Du warst stolz darauf, einen Bruder wie Thomas zu haben. Er konnte so souverän mit allen Dingen umgehen. Wehe dem Jungen oder jungen Mann, der sich Dir zu nähern wagte, ohne vor seinen Augen Gnade zu finden. Du sagtest einmal: "Er ist der einzige Mann in meinem Leben. Der mir Richtlinien geben darf." Richtlinien, was für ein grauenvolles Wort. Andererseits habe ich erlebt, wie er zuweilen mit Dir gesprochen hat. Das waren Richtlinien. Und das Geheimnis von Euch beiden? Der eine war auf den anderen Stolz. So seid ihr auch miteinander umgegangen. Ich habe da viel Respekt zwischen Euch gespürt.

Und noch etwas ist mir aufgefallen. Du hattest das große Glück, bei Deinen Eltern, vor allem bei Deiner Mutter, in einem geradezu unbefangen offenen und gastfreundlichen Haus zu leben. Immer wenn ich da war, hing eine Traube von Leuten bei Euch herum. Sie kamen, wenn sie kommen wollten. Sie gingen, wenn sie gehen wollten. Sie blieben, wenn sie bleiben wollten. Aber wenn sie blieben, mussten sie natürlich auch etwas für Euch erledigen, einkaufen gehen oder fahren, Müll runterbringen. Deine Mutter und Du, ihr hattet das schon gut im Griff.

Ich denke, dass es solche Dinge sind, gerade Gastfreundlichkeit, die einen offenen, ehrlichen, geraden Menschen hervorbringen können. Einen Menschen der auf andere zugeht, der andere zusammenführt, sie zusammenhält. Würde ich versuchen, ein treffendes Wort für Dich zu finden, so wäre es das Wort: Liebenswert. Es war zwar leider nicht allzu oft, aber ich habe Dich im Kreis von Kumpels, von Schulkameraden erlebt, im Kreis von Freunden und mit Menschen, die Dich lieben und die Du liebtest. Ich kann mich an keinen Zeitpunkt erinnern, zu dem man Dir nicht hätte Liebe entgegenbringen können.

Cathis 18. Liebe Cathi!

Ich hatte das Glück, bei Deinem 18. Geburtstag singen zu können. Nun bekam ich eine DVD mit dem Videomitschnitt dieses Abends. Und da ist ein Bild, das mich fesselt und fasziniert. Ich singe auf Thomas' und Deinen Wunsch "Sound of Silence". Der Raum wird nur noch von einer Deckenlampe hinter mir erleuchtet. Ich bin eher als Schatten zu sehen. Du hast Dich schräg hinter mich gesetzt, neben Dir sitzt Mara. Ihr kuschelt Euch aneinander, genauso wie vor fünfzehn Jahren Deine Mutter und ihre Freundinnen, wenn meine Band einen besonders schönen Titel spielte. Und so sitzt ihr beide unter dem Schatten des Griffbretts meiner Gitarre. Wir sind sehr miteinander verbunden auf diesem Bild. Und das ist es, was ich von Euch festhalten werde, die Verbundenheit.

Alles stirbt, meine Kleine, das ist eine Wahrheit
Aber kann es nicht sein, dass alles was stirbt auch eines Tages wiederkehrt?
Schmink Dein Gesicht und steck Dein Haar hübsch zurecht
Und triff mich heut Nacht hier in Saßnitz!

Everything dies Baby, that's a fact
But maybe everything that dies someday comes back
Put your makeup on - fix your hair up pretty
And meet me tonight here in Sassnitz-City!

Die Beisetzung

Die Beisetzung fand zwei Wochen nach dem Unfall, am 18. Juni 2005, statt. Cathi wurde als letzte der vier beigesetzt. Irgendwann nach der Bestattung ihres Vaters hatte sie einmal geäußert, wenn mit ihr mal etwas passieren sollte, möchte sie genauso beigesetzt werden wie ihr Papa. Solche Sprüche einer Jugendlichen tut man gemeinhin ab. Doch nun war das ihr letzter Wille. Also fuhren wir hinaus auf die Ostsee, zu einem Urnenfeld nahe dem Königsstuhl vor der Steilküste Rügens. Es war das gleiche Schiff, mit dem wir vier Jahre zuvor Mischka, Cathis Vater, hinausgebracht hatten. Es war der gleiche Kapitän wie vor vier Jahren. Und es war die gleiche Stelle, wie vor vier Jahren. Wir hatten gewünscht, dass keine Reden mehr gehalten werden. Der Kapitän begrüßte uns also nur an Bord, erklärte den Ablauf, den wir doch nur noch allzu gut kannten. Dann fuhren wir hinaus. Eine Gruppe von Freunden und Bekannten, auch Maras Eltern, die an diesem Morgen ihr eigenes Kind begraben hatten, fuhren mit Autos parallel zum Königsstuhl, um an den Strand hinunter zu gehen und von dort der Beisetzung nahe zu sein. Der Wind war mit Stärke 6 fast so stark, wie bei Mischkas Beisetzung. Am Beisetzungsort angekommen brachte der Kapitän die Urne an Deck. Er gab den Längen und Breitengrad bekannt. Dann sprach er noch eines dieser grauenvollen Gedichte, die anstelle eines Gebets zur sinnlosen Pflicht erhoben wurden. Die Bootsmannspfeife wurde gepfiffen und die Urne, vom Kapitän an einer Schnur gehalten, sanft ins Wasser hinabgelassen. Über die Lautsprecheranlage erklangen die Gitarrenklänge des Liedes "Adioz", die Böhsen Onkelz" waren zu dieser Zeit die Lieblingsband von Cathi. Die Urne schwamm noch ein paar Sekunden auf dem Wasser. Wir warfen unsere Blumen hinunter. Die Sonne hatte sich hinter den Wolken hervorgekämpft und färbte die Wasseroberfläche hell türkis. Mit dem ersten Stakkato der Gitarre kippte die Urne zur Seite und versank mit einer hellen Blasenspur im Wasser ...

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